Das Schweizer Life-Science-Unternehmen Hamilton erlebt ereignisreiche Zeiten. Die Corona-Pandemie hat für einen enormen Nachfrageschub ihrer Produkte geführt. Nicht nur stammt jedes fünfte weltweit im Einsatz stehende Beatmungsgerät aus den Produktionsstätten des Schweizer Unternehmens. Zwei Drittel aller automatisierten PCR-Tests weltweit laufen mit Hamilton-Technologien. Die enorme Nachfrage an Liquid-Handling-Lösungen brachte das Unternehmen mit Sitz in Domat/Ems im Bergkanton Graubünden an seine Kapazitätsgrenzen. Hamilton konnte auf den Nachfrageschub reagieren. Dies zeigt das Beispiel der Produktion der Pipettenspitzen. Hamilton hat den Reinraum und die sich darin befindenden Produktionskapazitäten in Rekordzeit beinahe verdoppeln.
Als die Hamilton Bonaduz AG im Jahr 2018 einen 560 m² grossen Reinraum für die Produktion von Pipettenspitzen in Betrieb genommen hat, konnte noch keiner ahnen, dass der Bedarf für die Labordiagnostik in Zeiten der Corona-Pandemie schlagartig in die Höhe gehen würde. Die Spitzen aus Kunststoff werden unteranderem in der Biotechnologie, in der Forensik, in der Zell Forschung und Diagnostik eingesetzt, wo kleinste Flüssigkeitsmengen exakt pipettiert werden müssen. Für die Sicherheit der Diagnosen dürfen die Pipetten keinerlei Verunreinigungen aufweisen. Hamilton produziert und verpackt daher unter kontrollierten Reinraumbedingungen.
Um der erhöhten Nachfrage der Labore gerecht zu werden, musste neben der Spritzgiesskapazität auch das gesamte Handling der kontaminationsfreien Produktion erweitert werden, das den Anforderungen der GMP-Vorgaben entspricht. Dazu gehörte auch eine Vergrösserung des Reinraums, an den mittlerweile zwei weitere Maschinen angedockt wurden.
Schon bei der Installation des ersten Reinraums in Domat/Ems wenige Jahre zuvor, hatte das Schweizer Unternehmen darauf geachtet, ein modulares Reinraumsystem zu installieren, das umgebaut und erweitert werden kann. Dass eine Erweiterung bereits im Jahr 2021 in diesem Ausmass nötig wurde, hätte Georg Schischkin, Quality Leader bei Hamilton, nicht für möglich gehalten. Doch dank der vorausschauenden Planung, konnte Hamilton rasch seine Kapazitäten erweitern, wie Schischkin ausführt:
„Als wir den Reinraum 2018 in unserem Neubau geplant hatten, haben wir bereits beschlossen, eine Erweiterungsmöglichkeit für eventuelles Wachstum vorzusehen. Deswegen haben wir uns für ein modulares System entschieden, das problemlos umgebaut werden kann. Niemand konnte hingegen ahnen, dass dies schon so schnell zum Tragen kommen würde.“
Schnelle Erweiterung dank modularem Anbau
Der bestehende Reinraum und die Erweiterung wurden von der Reinraumfirma Schilling Engineering durchgeführt. Dank des modularen Systems CleanMediCell konnte der 560 m² grosse Reinraum in nur sechs Wochen um weitere 320 m² vergrössert werden. Die Produktion wurde dabei während des gesamten Umbaus aufrechterhalten.
Wand- und Deckenmodule des Reinraumsystems sind mit einem silikonfreien GMP Dicht-Clip-System verbunden, das für eine hohe Dichtheit des Raumes sorgt. Aufgrund der patentierten Verbindung konnte die seitliche Reinraumwand des ursprünglichen Reinraums zerstörungsfrei abgebaut und die bestehenden Wand- und Deckenelemente an den neuen Reinraum angeschlossen werden. Dank einer provisorischen Staubschutzwand lief die Produktion während des Umbaus vollständig weiter. Lediglich vier Stunden Stillstand wurden eingeplant, um den Druck und die Lüftung der beiden zusammengelegten Raummodule anzupassen und zu testen. Die gesamte Reinraumanlage erfüllt die Anforderungen nach GMP D.
Georg Schischkin, der die Produktionsaufstockung unter Zeitdruck koordinieren musste, kennt die Reinraumfirma Schilling Engineering schon von mehreren Projekten und war sehr zufrieden, sich bei der Planung und Durchführung der Reinraumerweiterung auf das externe Know-how verlassen zu können. Die zeitliche Vorgabe des Schweizer High-Tech-Unternehmens war sehr eng und die Geschwindigkeit des Umbaus von grosser Bedeutung:
„Dass wir während der Erweiterung weiter produzieren konnten, war eine unabdingbare Voraussetzung und es hat wirklich sehr gut funktioniert. Schilling Engineering ist sehr flexibel auf unsere Bedürfnisse eingegangen und hat uns gut beraten. Die Projektleitung und die Servicetechniker waren jederzeit ansprechbar und sehr kompetent. Das hat uns viel Druck genommen. Der zeitliche Ablauf des Umbaus hätte nicht besser laufen können“
Vollautomatisches Handling
Mit der Erweiterung des Reinraums konnte Hamilton drei weitere Spritzgussmaschinen in Betrieb nehmen, um die Pipettenspitzen in einem kontrollierten GMP-Verfahren kontaminationsfrei herzustellen. Jede Spritzgussmaschine wird mit einer Laminarflow-Einhausung ausgestattet, die mit einer geregelten Zufuhr von Reinstluft die offenen Bereiche der Produktion vor Kontamination schützt. Die gefertigten Teile werden dann vollautomatisch über Reinraumtransportbänder und ein angeschlossenes Roboterhandling in Trays zu je 96 Stück zusammengefasst und in den Reinraum eingeführt. Im Reinraum werden die Pipettenspitzen kontrolliert und verpackt. Das versiegelte Endprodukt wird über ein automatisches Liftsystem und automatische Materialschleusen sicher nach aussen geführt und findet so seinen sicheren Weg zum Endkunden.
Um die Qualität des Produktes nicht zu gefährden, verfügt der Reinraum über eine angeschlossene Klimatechnik und wird mit konstanter Temperatur und Feuchtigkeit betrieben. Die gekühlte und gefilterte Luft wird dabei energieeffizient und filterschonend wieder in den Umluftkreislauf geführt. Zur Kühlung wird das kostengünstig vorhandene Tiefbrunnenwasser eingesetzt.
GMP-Monitoring und GMP-Qualifizierung
Um alle Voraussetzungen der Endkunden zu erfüllen, wurde der Reinraum nach GMP qualifiziert und ein GMP-Monitoring integriert. Die Auswertung der Partikelmessung wird zudem nach dem Standard ISO 8 durchgeführt, der für die Medizintechnik von Bedeutung ist.
Georg Schischkin erklärt diese Besonderheiten der Anlage: „Wir produzieren nach GMP, erfüllen aber auch den Nachweis der Reinraumklasse ISO 8 für unsere Endkunden aus der Medizintechnik. Das Reinraumsystem CleanMediCell ist dafür speziell geeignet. Eine GMP Qualifizierung ist sehr aufwändig und verlangt genaueste und sehr viele Dokumentationen. Hier waren wir froh, Beratung und Unterstützung von erfahrenen Reinraumingenieuren zu erhalten.“
Eine Besonderheit des Reinraumsystems ist das integrierte GMP-Monitoring. Die Partikelkonzentration innerhalb des Reinraums wird dabei ebenso überwacht wie die Paramater Druck, Feuchte und Temperatur. Alle Werte werden konstant im definierten Zeitabstand manipuliersicher aufgezeichnet und dokumentiert. Der kontrollierte Prozess kann damit, wie es die GMP-Vorgaben verlangen, über den gesamten Produktionszeitraum nachgewiesen werden. Die kontinuierliche Prüfung erlaubt die Auswertung von Trends und ermöglicht bei Tendenzen zu Abweichungen rechtzeitig gegenzusteuern. Zudem wird der Reinraum über die Software CR-Control überwacht. Die Bediener im Reinraum erhalten bei Über- oder Unterschreitung von Warngrenzen sofort eine Rückmeldung und können den Anweisungen der Meldungen auf dem Touchpanel zur Fehlerbehebung folgen.
Dank der schnellen Aufstockung finden jährlich mehrere Milliarden Pipettenspitzen aus der Schweiz ihren sicheren Weg in die Labordiagnostik und tragen ihren Teil zur Durchführung der Corona Massnahmen bei. Und trotz aller Bewunderung für die flexible und mutige Herangehensweise des Schweizer Unternehmens hoffen wir, dass demnächst der Grossteil dieser besonderen Kunststoffteile wieder für Diagnosen verwendet werden, die weit von einer Pandemie entfernt sind.
Dieser Artikel wurde veröffentlicht: reinraum online 6/2022